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Menschen dürfen sich niemals Tieren unterwerfen.
Lehre der Bene Gesserit
Obwohl Abulurd offiziell den Titel des planetarischen Gouverneurs von Lankiveil behalten hatte, war es Glossu Rabban, der diese Welt politisch und wirtschaftlich verwaltete. Es amüsierte ihn sogar, seinem Vater den Titel zu gönnen, da es überhaupt keinen Einfluss auf die wahren Machtverhältnisse hatte.
Was konnte der alte Narr schon anrichten, wenn er sich in einem Bergkloster verkroch?
Rabban hasste den trüben Himmel und die Kälte dieses Planeten, die primitiven Bewohner und den allgegenwärtigen Gestank nach Fisch. Er hasste das alles, weil der Baron ihn gezwungen hatte, mehrere Jahre hier zu leben, nachdem er die Mission auf Wallach IX verpatzt hatte. Doch in erster Linie hasste er diesen Planeten, weil sein Vater ihn so sehr liebte.
Eines Tages beschloss Rabban, das geheime Gewürzlager zu inspizieren, das sie vor Jahrzehnten auf Lankiveil angelegt hatten. Hin und wieder überzeugte er sich gerne davon, dass alles in Ordnung war. Alle Aufzeichnungen waren vernichtet, alle Zeugen eliminiert worden. Es gab keinen Hinweis, dass der Baron bereits in der Frühzeit seines Waltens auf Arrakis größere Mengen Melange auf die Seite geschafft hatte.
Rabban führte eine Expedition an, die aus dem Orbit den nördlichen Kontinent ansteuerte, auf dem er zwei Jahre in den Industrie- und Hafenstädten und den Walpelz-Fabriken verbracht hatte. Nun fuhr er mit zehn seiner Soldaten auf einem Schiff, das er in einem Fischereihafen beschlagnahmt hatte, durch das Treibeis des Polarmeers. Seine Techniker wussten, wo sie mit den Scannern nach dem künstlichen Eisberg suchen mussten. Rabban überließ sie ihrer Arbeit, während er sich in seiner Kabine wärmte und ausgiebig dem Kirana-Brandy zusprach. Er würde an Deck gehen, wenn das Ziel in Sicht kam, aber er war nicht daran interessiert, den salzigen Nebel zu riechen oder sich die Finger zu erfrieren, bevor die Notwendigkeit dazu bestand.
Die Nachbildung des Eisberges war für das unbewaffnete Auge täuschend echt. Das Gebilde unterschied sich in nichts von all den anderen treibenden Brocken. Als das Schiff anlegte, schob sich Rabban in die erste Reihe seiner Leute. Er betrat den Eisberg aus Polymer, bediente das versteckte Schott und trat in die hallenden blauen Tunnel.
Nur um festzustellen, dass das gewaltige Lagerhaus völlig leer war.
Rabban stieß einen brüllenden Schrei aus, der durch die kalten Tunnel hallte. »Wer hat das getan?«
Einige Zeit später raste das Schiff nach Süden davon und ließ den falschen Eisberg zurück. Rabban stand am Bug. Seine Wut hatte ihn so sehr erhitzt, dass er gar nichts mehr von der Kälte und Feuchtigkeit spürte. Sie erreichten die felsigen Fjorde, wo die Harkonnen-Soldaten in die armseligen kleinen Fischerdörfer ausschwärmten. Die Ansiedlungen sahen viel netter aus, als Rabban in Erinnerung hatte. Die Häuser waren neu, die Maschinen glänzten und funktionierten einwandfrei. Die Fischerboote und Lagerhäuser waren modern und in tadellosem Zustand. Überall stießen sie auf Importe von anderen Welten.
Die Soldaten verloren keine Zeit und griffen sich einzelne Dorfbewohner heraus, die sie der Reihe nach folterten und verhörten. Letztlich erhielten sie immer wieder die gleiche Antwort. Rabban hatte es bereits geahnt, bevor er hörte, wie der Name zwischen blutigen Lippen und gebrochenen Zähnen hervorgestoßen wurde.
Abulurd.
Er hätte es wissen müssen.
* * *
In Veritas, der Stadt in den Bergen, kam es zu einem winterlichen Kälteeinbruch. Die buddhislamischen Mönche holten frisches Wasser aus tiefen Bergquellen, um damit die Gebäude ihrer bemerkenswerten Klosteranlage zu verschönern.
Abulurd wusste, dass sein Herz nie ganz heilen würde, aber die Verletzungen hatten sich wenigstens zu Narben verhärtet. Er trug einen warmen Mantel und dicke Handschuhe, als er den Höhleneingang mit einem glitzernden Nebel aus dem Wasserschlauch besprühte.
Sein Atem bildete Dampfwolken, und die Haut seiner Wangen fühlte sich so kalt an, dass sie zu reißen drohte. Aber er lächelte, während er an der prismatischen Eiswand arbeitete. Langsam baute sich die Barriere wie ein Vorhang an der Felskante auf. Das milchig weiße Gebilde funkelte im Sonnenlicht und sollte die kalten Winde abhalten, die durch die Ritzen pfiffen. An den Berghängen klingelten Glöckchen und Windräder, die gleichzeitig Energie gewannen und Musik erzeugten.
Abulurd stellte den Wasserstrahl ab, sodass nun Mönche herbeieilen konnten, die bunte Glasstücke in das gefrierende Eis einfügten und ein Kaleidoskop aus schillernden Farbenspielen schufen. Als sie zurücktraten, besprühte Abulurd das Gebilde mit einer weiteren Eisschicht. Die Einschlüsse bildeten Regenbogen über der Stadt unter dem Felsvorsprung.
Nachdem die Eisbarriere um einen zusätzlichen halben Meter angewachsen war, schlug der Abt von Veritas einen großen Gong – das Signal, die Arbeiten einzustellen. Abulurd setzte sich und blickte erschöpft, aber stolz auf sein Werk.
Er zog die dicken Handschuhe aus und klopfte die Eiskruste von seinem gepolsterten Mantel. Dann trat er in die mobile Kantine.
Mehrere Mönche servierten den Arbeitern das Essen. Emmi brachte ihrem Mann eine steinerne Schüssel mit heißer Suppe. Abulurd drängte sie, sich neben ihm auf die Bank zu setzen, damit sie gemeinsam ihre Mahlzeit einnehmen konnten. Die Brühe schmeckte köstlich.
Plötzlich sah er durch die Plazfenster der Kantine, wie der Eisvorhang im Schein einer Lasgun-Salve erstrahlte und zusammenstürzte. Brocken aus Eis und Glas krachten auf den Höhlenboden und rutschten den Berghang hinunter. Nach einer zweiten Salve wurde ein Harkonnen-Kampfthopter sichtbar, der vor dem Höhleneingang schwebte und sich mit Gewalt Zugang zur Stadt verschaffte.
Die Mönche flüchteten schreiend. Aus einem fallen gelassenen Schlauch ergoss sich klares Wasser über den kalten Steinboden.
Abulurd wurde übel. Er war mit Emmi nach Veritas gekommen, um ein Leben in Frieden und Abgeschiedenheit zu führen. Sie wollten keinen Kontakt mit der Außenwelt und erst recht nicht mit den Harkonnens. Und schon gar nicht mit ihrem ältesten Sohn.
Der Kampfgleiter schrammte bei der Landung über den Felsboden. Die Tür öffnete sich zischend, und als Erster sprang Glossu Rabban heraus, flankiert von schwer bewaffneten Soldaten. Im Grunde eine völlig überflüssige Maßnahme, da keiner der Mönche von Veritas jemals Gewalt anwendete, nicht einmal zur Selbstverteidigung. Rabban hatte lediglich seine Inkvinepeitsche dabei.
»Wo ist mein Vater?«, verlangte er zu wissen, als er mit seinen Männern zur Kantine marschierte. Seine Stimme klang wie Steine, die gegeneinander schlugen. Die Eindringlinge rissen die dünne Plaztür auf, und ein kalter Wind wehte herein.
Abulurd stand auf, und Emmi griff so abrupt nach ihm, dass sie die Schüssel mit heißer Suppe umstieß. Sie fiel zu Boden und zersplitterte. Von der vergossenen Suppe stieg Dampf auf.
»Hier bin ich, Sohn«, sagte Abulurd. »Es besteht kein Grund, noch mehr Dinge kaputt zu machen.« Die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Die Mönche wichen zurück, und er war froh, dass niemand versuchte, sich in das Gespräch einzumischen, da Glossu Rabban keine Hemmungen hatte, das Feuer auf Unschuldige zu eröffnen.
Der stämmige Mann wirbelte mit überraschender Gelenkigkeit herum. Seine Stirn legte sich in tiefe Falten, und die schweren Augenbrauen warfen einen Schatten auf sein Gesicht. Er stapfte mit geballten Fäusten vor. »Das Gewürzlager – was hast du damit gemacht? Wir haben die Leute in den Fischerdörfern verhört.« Seine Augen tanzten vor Vergnügen. »Jeder hat deinen Namen genannt. Dann haben wir noch ein paar mehr gefoltert, um ganz sicher zu sein.«
Abulurd trat vor und distanzierte sich von Emmi und den Mönchen. Sein graublondes Haar hing ihm nach der Arbeit schweißnass ins Gesicht. »Ich habe die Vorräte dazu benutzt, den Menschen von Lankiveil zu helfen. Nach all dem Leid, das du ihnen zugefügt hast, bist du es ihnen schuldig.« Er hatte sich auf diesen Fall vorbereitet und sich vorgenommen, eine passive Verteidigungsstrategie anzuwenden, die das Volk vor dem Zorn der Harkonnens schützte. Er hatte gehofft, dass Rabban den Gewürzdiebstahl erst dann bemerken würde, wenn er die Gelegenheit gehabt hatte, die Mönche einzuweihen. Aber dazu hatte er bislang noch nicht die Zeit gefunden.
Emmi eilte mit gerötetem Gesicht herbei. »Hör auf damit! Lass deinen Vater in Frieden!«
Rabban drehte nicht einmal den Kopf, sondern ließ Abulurd nicht einen Moment aus den Augen. Stattdessen holte er mit dem Arm aus und versetzte seiner Mutter einen kräftigen Schlag mitten ins Gesicht. Sie taumelte zurück und hielt sich die Nase. Blut lief durch ihre Finger und über ihre Wangen.
»Wie kannst du es wagen, deine Mutter zu schlagen!«
»Ich schlage, wenn mir danach ist. Du scheinst nicht begriffen zu haben, wer hier das Sagen hat. Du weißt gar nicht, wie armselig und schwach du bist.«
»Ich schäme mich für das, was aus dir geworden ist.« Abulurd spuckte voller Abscheu auf den Boden.
Rabban ließ sich dadurch nicht beeindrucken. »Was hast du mit unseren Gewürzvorräten gemacht? Wohin hast du sie geschafft?«
Abulurds Augen versprühten Feuer. »Zum ersten Mal wurde Harkonnen-Geld für einen guten Zweck verwendet. Du wirst es niemals zurückbekommen.«
Rabban bewegte sich mit der Schnelligkeit einer Schlange und packte Abulurds Hand. »Ich will meine Zeit nicht mit dir verschwenden«, sagte er mit tiefer und bedrohlicher Stimme. Dann brach er Abulurd den Zeigefinger, mühelos wie einen trockenen Zweig, und anschließend den Daumen.
Abulurd wäre vor Schmerz beinahe ohnmächtig geworden. Emmi kam wankend auf die Beine und schrie. Blut floss ihr über das Gesicht.
»Was hast du mit dem Gewürz gemacht?« Mit sicherem Griff brach Rabban seinem Vater zwei weitere Finger an der anderen Hand.
Abulurd sah seinen Sohn an und verdrängte den Schmerz, der in seinen Händen raste. »Ich habe das Geld über viele Mittelsmänner an die Bevölkerung von Lankiveil verteilt. Wir haben neue Häuser gebaut, bessere Ausrüstung erworben und Lebensmittel sowie Medikamente von anderen Planeten gekauft. Und einige aus dem Volk haben wir auf andere Welten des Imperiums geschickt, damit sie es dort besser haben.«
Rabban war fassungslos. »Du hast alles ausgegeben?« Die Gesamtmenge des Gewürzes hätte genügt, um mehrere größere Kriegszüge zu finanzieren.
Abulurd lachte dünn, mit einem leicht hysterischen Unterton. »Hundert Solaris hier, tausend Solaris dort.«
Rabban sackte in sich zusammen, als hätte man die Luft aus einem Ballon gelassen, denn er verstand, dass sein Vater tatsächlich genau das getan haben könnte. Wenn es stimmte, waren die Gewürzvorräte der Harkonnens wirklich verloren. Rabban war es unmöglich, sich jemals die Melange oder den Gegenwert zurückzuholen. Gut, er konnte zur Entschädigung vereinzelten Dorfbewohnern etwas abnehmen, aber auf diese Weise würde er niemals den gesamten Wert zusammenbekommen.
Vor Wut drohte Rabban der Schädel zu platzen. »Dafür werde ich dich töten!« Seine Stimme ließ keinen Zweifel, dass er es ernst meinte.
Abulurd starrte in das breite, hasserfüllte Gesicht seines Sohnes – der für ihn zu einem völlig Fremden geworden war. Trotz seiner Verdorbenheit und Bösartigkeit erinnerte sich sein Vater immer noch an den ungezogenen Jungen und daran, wie Emmi ihn als Baby in den Armen gehalten hatte.
»Du wirst mich nicht töten.« Abulurds Stimme war stärker, als er für möglich gehalten hätte. »Ganz gleich, wie abscheulich du bist oder welche Perversionen du von Wladimir gelernt hast, eine derart verabscheuungswürdige Tat könntest du nicht begehen. Ich bin dein Vater. Und du bist ein Mensch – keine Bestie.«
Diese Worte lösten die letzte Lawine unbeherrschter Wut aus. Mit beiden Händen umklammerte Rabban die Kehle seines Vaters. Emmi schrie und stürzte sich auf ihren wahnsinnigen Sohn, aber sie konnte nicht mehr bewirken als ein Blatt im Wind. Rabbans kräftige Hände drückten immer fester zu.
Abulurds Augen quollen hervor, und er versuchte sich mit seinen gebrochenen Fingern zu wehren.
Rabbans dicke Lippen krümmten sich zu einem Lächeln. Er zerquetschte Abulurds Kehlkopf und brach ihm das Genick. Mit einem Blick voller Verachtung ließ er seinen Vater los, dessen Leichnam erschlafft zu Boden sackte. Seine Mutter und die Mönche keuchten entsetzt und schrien auf.
»Von heute an soll man mich Bestie nennen!« Zufrieden mit seinem neuen Namen signalisierte Rabban den Soldaten, ihn zum Thopter zu begleiten und sich auf den Abflug vorzubereiten.